Freitag, 16. April 2010

Die Edition Suhrkamp, die Berliner Autorenbuchhandlung und unser Pop-up-Store

Party Talk, mehr war es anfangs nicht. Während einer Vernissage in Wanja Belagas Wohnung saß ich im April 2009 zufällig neben Jonathan Landgrebe, Geschäftsführer von Suhrkamp. Er war auf der Suche nach einem PR-Event, um die Spektralfarben der Edition Suhrkamp – gerade bei der nachgeborenen Generation – wieder zum Leuchten zu bringen, ich versprach, mir dazu Gedanken zu machen. Viel Grübelei bedurfte es dann nicht, um unser Konzept eines Pop-up-Stores auf einen Flagship Store aufzupfropfen: 100 Tage Suhrkamp, ab September 2009. Zu kurzfristig für das – noch dazu im Umzug nach Berlin begriffene – Traditionshaus, das zudem gern seine 60-Jahr-Feier 2010 mit so einem Event verknüpft hätte.
Also zelebrierten wir letztes Jahr noch einmal herkömmliche 100 Tage Bücher in der Reichenbachstraße und vertagten uns auf dieses Jahr. In der Vorweihnachtszeit erfuhr ich – eher zufällig – daß Suhrkamp das Projekt inzwischen nicht mehr nur in München, sondern in Kooperation mit der Fürst & Iven Autorenbuchhandlung zeitgleich auch in Berlin umsetzen wollte. Am 16. April, also diesen Montag sollte es parallel in beiden Städten losgehen, mit Edition Suhrkamp Shops im Münchner Univiertel und in Berlin-Mitte, die neben Büchern auch Lesungen und Filmvorführungen anbieten sollten.
Rein optisch in Berlin recht chic & clean wie ein seriöses „Factory Outlet“ („Buchreport“), bei uns wohl eher quick & dirty als typischer Guerilla Store angedacht. Und mit einem weiteren für mich entscheidenden Extra bei Edition Suhrkamp @ 100 Tage Bücher: Der Dreiteilung in Bib, Shop & Club. Neben der Buchhandlung und dem Literaturclub mit seinen Lesungen, Diskussionsrunden, Workshops für den Schriftstellernachwuchs und Prominenten, die ihre Lieblingstitel vorstellten („es und ich“), wollte ich eine Präsenzbibliothek einrichten, vielleicht die erste Pop-up-Bibliothek der Welt: Sämtliche Ausgaben der Edition Suhrkamp (es), ungefähr 1500 lieferbare und 1000 vergriffene, sieben Tage die Woche, auch abends, bereit liegend zum Blättern, Schmökern, Arbeiten.
Die Arbeitskräfte für so ein Projekt waren schnell zur Hand, nicht nur ich, sondern auch vom Projekt Begeisterte, die für umsonst mit angepackt hätten, Suhrkamp wollte uns großzügigerweise zwei vollständige Ausgaben der es schenken. Eine hätte ich für die Präsenzbibliothek verwandt, mit dem Verkauf der zweiten die Kosten wieder einspielen können. Aber eben nur können.
Das Problem war die Ladenmiete. Ob neben der Pommes-Boutique, neben dem Barer 61 oder in der Amalienpassage, leerstehende Läden im Wunschkarré unweit der Uni und der Pinakotheken gab es reichlich. Für reichlich Geld, um die 1500 Euro im Monat, die natürlich von Anfang an fällig gewesen wäre.
Für ein alteingesessenes Unternehmen wie die Autorenbuchhandlung, die auch nach drei Monaten weiter ihr Geschäft betreibt, eher nur ein Durchlaufposten. Für mich muß so eine Guerillaproduktion aber bereits nach 100 Tagen refinanziert sein und so lange aus der Hosentasche gestemmt werden. Weshalb es die Suhrkamp-Guerilleros mit einer kleinen Verspätung ab dem vom 6. Mai bis 24. Juli nur in der Berliner Linienstraße 127, Nähe Oranienburger Tor, geben wird. Und für mich außer Spesen nichts gewesen? Doch, der persönliche Erfolg, ein so altehrwürdiges Haus wie Suhrkamp inspiriert zu haben.

Updates:
„Ab Donnerstag wird es mit der Autorenbuchhandlung Fürst & Iven mitten in Berlin einen Laden geben, der bis 24. Juli nur sie anbieten wird: alle zweitausend-sechshundertdreizehn Titel dieser Edition, auch solche darunter, die schon lange vergriffen sind.“
rp-online vom 4. Mai

„Der Laden dürfte selbst im Szene-Viertel für Aufmerksamkeit sorgen“, so die Nachbarn von Comrepublic.

„Von heute an aber, so der Eindruck, schlägt der Verlag einen ersten wirklichen Pflock in die Stadt“, lobt der „Tagesspiegel“ die Eröffnung des Shops. 

„Die Welt“ erinnert anläßlich der Ladeneröffnung an Peter Handkes trotzige Worte, ihm scheine es „sogar befreiend, dass die Suhrkamp-Kultur jetzt endlich verweht ist.“

Les Mads fällt dazu noch nicht allzuviel ein, aber na gut, der Laden macht auch erst heute abend auf...

Für das „Börsenblatt des deutschen Buchhandles“ ist der Shop „keineswegs ein Outlet zu Remittenden-Preisen, sondern die stolze Selbstdarstellung einer Marke“.

„Kurzfristig störte ein aggressiv gestimmter Mann ihre gute Laune – ein abgelehnter Autor? Man hätte jedenfalls meinen können, Franz Biberkopf sei aus seiner Bude herabgestiegen“, berichtet die „F.A.Z.“ vom Premierenabend (2. Seite).

Die „Süddeutsche Zeitung“ fühlt sich – angesichts der zahlreichen bunten Quadrate im edition suhrkamp shop wohl naheliegend – an die bunte Schokowelt von Ritter Sport erinnert, arbeitet aber im Spannungsfeld zwischen „Markencharakter“ und „Schauwert“ den Unterschied fein heraus: „Der edition-suhrkamp-Laden ist klassisch modern auch darin, dass er eher ungemütlich ist.“

Die „Berliner Morgenpost“ titelt „mehr Boutique als Bibliothek“ und ortet den Shop „im schicken Teil der Hauptstadt: dort, wo junge Menschen mit engen Jeans und weiten Schals ihren Gegenwartsfundamentalismus ausleben.“

Und sonst: Love German Books, Vigilien, Blogtainment, top10berlin, „BuchMarkt“, „Monocle“.

Das Eröffnungsprogramm am 6. Mai sieht eine Einführung durch Raimund Fellinger, Marc Iven und Jonathan Landgrebe vor sowie Lesungen von Bernd Cailloux, Thomas Kapielski und Detlef Kuhlbrodt.


Am 8. Mai legt Andreas Neumeister „Platten auf und zeigt seine Urlaubsfotos“.
Am 13. Mai präsentieren u.a. Rudolf Maresch und Volker Oppmann die edition suhrkamp fürs iPhone.
Am 15. Mai Loslabern mit Rainald Goetz.
Am 20. Mai diskutieren Hartmut Häußermann, Friedrich von Borries und Tobias Rapp über „Die Zukunft der Stadt“.
Am 22. Mai verkaufen Autoren und Verlagsmitarbeiter Suhrkamp-Bücher.
Am 27. Mai diskutieren Michael Ryklin, Boris Buden und Thierry Chervel über „Transformation Osteuropa – 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges“.
Am 29. Mai heißt es: „Dichten mit Ann Cotten“.
Am 3. Juni unterhalten sich Tobias Moorstedt, Franz Walter und Tabea Rößner über „Politischen Wandel und die Rolle der Medien“.
Am 5. Juni lesen Nanni Balestrini und Peter O. Chotjewitz unter dem Titel „Jedes Buch ein Unikat“.
Am 10. Juni diskutieren Mark Terkessidis, Fatih Akin, Veruschka und Hanna Schygulla über „Interkultur“.
Am 12. Juni: „Oszilieren mit Elisabeth Rank“.
Am 17. Juni spricht Jörn Klare über sein Buch „Was bin ich wert?“
Am 18. Juni diskutieren Volker Beck, Werner Schiffauer, Necla Kelek und Koray Yilmaz-Günay über „I wie Islam und Integration“.
Am 19. Juni signiert Judith Butler vormittags. Später präsentiert Serhij Zhadan seinen Roman „Depeche Mode“.
Am 24. Juni diskutieren Barbara Nolte, Thomas Strobl und Wilhelm Heitmeyer über „Die da oben und die da unten“.
Am 25. Juni diskutieren Volker Perthes, Peter Rudolf und Sergey Lagodinsky zum Thema „Iran – USA: Von der »ausgestreckten Hand« zur Konfrontation?“
Am 26. Juni präsentiert Heinrich Geiselberger sein Buch „Für Messi sterben?“ (mit Übertragung des Achtelfinals der Fußball-WM).
Am 29. Juni Lesung und Gespräch mit Durs Grünbein und Hanna Schygulla.
Am 1. Juli dreht sich alles um Willy Fleckhaus und die Gestaltung der Edition Suhrkamp: Vortrag und Diskussion mit Carsten M. Wolff, Rainer Groothuis und Friedrich Forssmann.
Am 3. Juli heißt es: „Deutschland macht dicht mit Dietmar Dath“.
Am 8. Juli präsentiert Friedrich von Borries sein Buch „Klimakapseln – Überlebensbedingungen in der Katastrophe“.
Am 10. Juli wird's vielseitig: Erst Schweigen mit Rafael Horzon, danach eine Zaubershow sowie die Übertragung des Fußball-WM-Matches um den 3. Platz.
Am 15. Juli stellt Dietmar Kammerer sein Buch „Bilder der Überwachung“ vor, eine kulturwissenschaftliche Studie der Videoüberwachung.
Am 17. Juli gibt es „Nachbetrachtungen zur Fußball-WM mit Albert Ostermaier und Christoph Nußbaumeder“.
Am 22. Juli werden Raritäten aus dem Suhrkamp Verlag verkauft.
Am 23. Juli: „Lob der Kybernetik“ – Thomas Meinecke singt Thomas Meinecke.
Am 24. Juli schließlich: „Abschluß & Party“!