Mittwoch, 2. Januar 2008

Short Stories (4): Nichts bewegen

Nichts bewegen. Nicht sprechen. Nach links sehen.
Gut.

Während sie sprach, drückte sie immer wieder auf den Auslöser. Seltsam, ich werde durch eine Linse betrachtet, bin zum Objekt geworden. Ich hätte gerne die Kamera und würde sie gerne fotographieren, wie sie um mich herumtänzelt, kniet, liegt, steht, immer wieder neue Perspektiven von mir aufzeichnet. Ich sollte die Kamera haben, dachte er. Versuch, durchs Zimmer zu gehen, sagte sie. Oder tanze ein wenig. Linkisch erhob er sich, sein rechtes Bein war eingeschlafen. Ich brauche mehr Wein, sagte er. Dann nimm dir, trink ruhig und sie rückte mit der Kamera näher an ihn heran. Ich würde gerne sehen, wie du gleichzeitig aus einem Glas Rotwein und einem Glas Wasser trinkst, kurz vor deinem Mund treffen sich die beiden Strahlen und vermischen sich. Kriegst du das hin, fragte sie. Klar, ich versuch´s zumindest, er blickte an sich hinunter, vielleicht sollte ich mich ausziehen, ich würde meine Sachen nicht versauen und der Wein, das Wasser hätten einen netten Aspekt, wenn es an mir herunter tropft, dachte er. Geht es noch, fragte sie und legte eine neue Platte auf. Achtziger Jahre. Will sie, dass ich mich ausziehe, fragte er sich, oder dass ich anfange verrückt in Zeitlupengeschwindigkeit zu tanzen? Stehe, sitze, gar nichts tue? Er setzte sich erneut auf einen der Hocker, der am Tresen stand. Ich will rauchen, sagte er. Dann rauch eine, aber lass dir Zeit, wenn du sie anzündest. Tu was du willst, solange du es langsam machst. Unnatürlich langsam, verstehst du, sagte sie. Unnatürlich langsam, wiederholte er, schon gut. Es begann zu schmerzen. Jede Bewegung seines Körpers. Wenn ich rauche, dann möchte ich rauchen, dachte er und wenn ich trinke, dann möchte ich trinken und wenn ich tanze dann möchte ich tanzen.

Drei Tage zuvor hatte sie ihn auf der Straße angesprochen. Er stand an einer Ecke, morgens. Wartete und machte nichts.

Kann ich sie fotographieren, hatte sie gefragt. Er hatte nichts geantwortet. Dann, „would you be interested in being a photo model?“ Er hatte nichts gesagt. Nur geradeaus geblickt, hinüber auf die andere Straßenseite. Zwei alte Männer saßen auf hölzernen Klappstühlen. Unterhielten sich. Sie berührte seinen Arm. Leicht. Er drehte seinen Kopf, sah sie an. Groß. Schlank. Hübsch. Dunkler Typ. Ja, sehr gern, hatte er gesagt. Morgen früh, gegen acht, sagte sie, treffen wir uns hier. Ist das in Ordnung? Ich brauche das Morgenlicht. Er hatte genickt. Ist in Ordnung. Ich heiße Martha. Alfred. Er streckte seine Hand aus. Freut mich, sagte sie. Dann ging sie. Er war geblieben. Martha.

Mir ist kalt, sagte er. Und ich möchte eine Pause. Sie setzte die Kamera ab. Ich hoffe, es ist nur ein brauchbares Bild dabei, sagte sie. Wielange fotographierst du schon, fragte er. Sie kam näher, setzte sich auf den Hocker neben ihn. Zehn Jahre, sagte sie. Aber du bist mein erster Mensch. Also der erste Mensch, den ich so sehe. Die Anderen, sie machte eine Pause, gibst du mir eine Zigarette, fragte sie, die anderen waren anders. Feuer auch?

Er beugte sich nach vorn. Danke Alfred. Die Anderen. Er fragte sich, wen sie alles hierher gebracht hatte. Profis? Studenten, die Geld brauchten? Alte, Junge, hübsche und hässliche? Ich glaube nicht, dass ich dein Erster bin, sagte er leise. Sie schwieg.

Sie sieht gut aus, wenn sie raucht, dachte er. Die Art und Weise, wie sie die Zigarette zwischen dem dritten und vierten Finger hält. Ihre Lippen schoben sich leicht nach vorn, wenn sie den Rauch ausblies. Wie ein Pferd. Ein schönes Pferd. Was siehst du mich so an, sagte sie. In ihrer Stimme schwang Unbehagen mit. Du siehst nur selbst gern, oder, fragte er. Voyeurimus. Ich sehe durch die Linse. Meine Welt lebt in Bildern. Du bist eines davon. Wir machen weiter. Das Model bestimmt, was passiert, hatte sie am Morgen gesagt. Hast du so etwas schon einmal gemacht, hatte sie ihn gefragt. Er hatte den Kopf geschüttelt.

Sie erhob sich, ging mit schnellen Schritten zu ihrer Kamera. Er sah sich um. Der Morgen war längst vorüber und das körnige Licht, das sie gesucht hatte, vergangen. Ich hoffe, dass auch nur ein einziges brauchbares Bild dabei ist, hallten ihre Worte wider. Die Hocker, die unordentlich herumstanden. Zwei Matrazen, ein weißes und ein schwarzes Laken. Die obligatorische Wand. Lampen, in verschiedener Höhe auf Stative geschraubt. Ein Kühlschrank und ein Tisch. Drüben, an der anderen Wand eine kleine Tür, daneben eine kleine Lampe. Rot. Der Eingang zur Dunkelkammer. An der Decke, große Fenster, ebenso die Wände. Immer wieder Fenster. Es ist zu hell, dachte er. Bleib da stehen, sagte sie. Es begann erneut. Ihr Finger auf dem Auslöser und seine Körperlichkeit, die sie festzuhalten versuchte. Hol dir die Handschellen und was du sonst noch magst, sagte sie und deutete auf den Schrank. Der Schrank. Er hatte ihn übersehen, oder doch nicht? Langsam ging er darauf zu. Wir machen weiter, bis es dunkel wird. Das Abendlicht. Ich will das Abendlicht. Er griff nach den Handschellen. Mit ein paar schnellen Bewegungen war sie bei ihm. Schob ihn nach zurück, ihre Hände waren nicht sanft. Fesselte ihn mit einer Hand an die Wand. Jetzt, zeig was du kannst, sagte sie und ihr Finger senkte sich wieder. Der Abend würde kommen.
f.k.

2 Kommentare:

Narziss und Goldhund hat gesagt…

Es gibt Short-Stories zu denen man endlosen Summ-Summ schreiben kann und es gibt welche, die man liest und die einen zufrieden und ruhig sein lassen; die keiner ergänzenden Worte bedürfen. Die vom Ladenschreiber gehören eindeutig zu zweiter Sorte!

F. Kapinski hat gesagt…

du bist viel zu nett zu mir. aber ich danke schön.
früher wäre ich versucht gewesen, dir für diese worte einen drink aus zugeben. na ja, musste mal mit freund d in gewisser bar vorbeikommen^^