Freitag, 28. Dezember 2007

Short Stories (1): Eine Tüte Leben

Heute hat der Ladenschreiber seinen Arbeitsplatz bezogen und versprochen, neben seiner eigenen literarischen Arbeit jeden Tag eine Kurzgeschichte zu entwickeln. Hier N° 1:

Eine Tüte Leben

Vom gegenüberliegenden Fenster aus konnte er deutlich in den Laden hineinsehen. Gegenüberliegend, das hieß in diesem Fall ein kleines Eckzimmer, im Erdgeschoss. Die Farbe der Hausmauer war irgendeine Mischung zwischen schmutzig grau und braun. Und drüben im Laden brannte immer noch Licht, an einem Sonntagabend, gegen neunzehn Uhr. Eigentlich sollte er seinen Fernseher anschalten, dachte er sich, aber das wahre Leben spielte sich doch draußen ab und draußen hieß in diesem Fall im Laden gegenüber seiner Ecke. Unter den hellen Lichtern sah er eine Frau, die immer wieder zwischen den Regalen an den Wänden, den Tischen mit der aufgestapelten Auslage, der Kasse und der Ladentür hin und her ging, als suchte sie etwas. Was tat sie da? Er sah auch die Bücher, Videos, DVDS und Plakate, die der Laden verkaufte. Im linken Regal neben der Tür standen in folgender Reihenfolge: Sagt Lila. Dann, Valerie Valere, die weiße Mauer. Lebenshilfe für introvertierte Lesben. Geschichte der Aktfotographie. Asian Nudes. Gay and Proud. The body within. Surf is fun. Etc. Etc.

Er kannte alle diese Titel, denn er hatte jeden Tag davor gestanden, seine Augen die Buchrücken entlang wandern lassen. Dann, im Fach darunter: Bondagedreams I-VI. Knoten und die Kunst des Bindens. Zwei Tinto Brass Filme, an diese Titel erinnerte er sich nicht mehr, eine Lolitaverfilmung und ein japanischer Porno. Hatamaguwa hieß der. Nun, er hatte da gestanden und ständig mit seinen Augen den Inhalt hinter den eingeschweißten Folien zu ergründen versucht. Und jedes Mal, wenn er das tat, wusste er, dass die Frau, die dort arbeitete, ihm in den Rücken sah. Ob sie sich etwas dabei dachte, dass er nur dieses eine Regal anziehend fand? Ob sie ihn vielleicht dafür verurteilte, dass er sich eine, zwei Stunden damit aufhielt, einfach nur dazu stehen und zu starren, ja starren, denn anders konnte man das fast nicht mehr nennen, aber nie etwas zu kaufen? Stahl er damit nicht ihre Zeit und die seine? Und genau jetzt, in diesem Moment, starrte er schon wieder. Und sie lief immer noch umher. Was macht sie denn da, fragte er sich, was macht sie da?

Und dann, vielleicht aus einer Laune heraus, entschied er sich dazu, seinen Platz am Fenster des kleinen Eckzimmers zu verlassen. Sich Schuhe anzuziehen, einen Mantel überzuwerfen, einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, die Straße zu überqueren, um dann mit den Worten, „Ich möchte heute etwas bei Ihnen kaufen“ an die Glastür des kleinen Buch,Video,DVD-Ladens zu klopfen und zu hoffen, sie würde ihm öffnen.

Unverständig blickte sie ihn an, noch halb umgedreht und leicht aus der Fassung gebracht, dass erstens jemand an ihrer Tür klopfte, und zweitens etwas durch die Glasscheibe zu ihr sagte, was sie nicht verstand. Sie hob eine Hand zu ihrem Ohr, und er glaubte auf ihren Lippen die Worte, „Was haben sie gesagt, ich verstehe nicht“ zu lesen. Also lächelte er linkisch und wiederholte nochmals, ein wenig lauter, „hallo, ich möchte heute endlich bei Ihnen etwas kaufen“, dabei machten seine Hände eindeutige Bewegungen. Sie blickte ihn an und in ihren Augen konnte er deutlich den Prozess nachvollziehen, der sie nach einem kurzen Moment des Zögerns zur Tür treten ließ, sie öffnete einen Spalt und sagte, „Eigentlich habe ich geschlossen“, „Ich weiß“, sagte er. „ich dachte, ich komme vorbei, denn es brennt Licht und ich, ich würde wirklich gerne etwas bei Ihnen kaufen“

Sie zögerte noch einen weiteren Moment, „na gut“ und er spürte, dass sie vielleicht noch „aus dem linken Regal, oder?“, hätte sagen wollen, aber sie ließ ihn hinein. Wartend blieb sie neben der mittleren Auslage stehen, was würde jetzt passieren, diese Frage stand so deutlich wie unausgesprochen im Raum. „ich hätte gerne ein Kochbuch, einen Film von Tinto Brass, einen Reiseführer für Marokko, eine DVD von den Beatles, das Opus Pistorum von Henry Miller, einen Gedichteband von H. Domin und ...“ Er holte Luft, sie blickte ihn fassungslos an, dann begann sie zu lächeln. Sie zeigte auf das Regal links neben der Tür. Sie wissen ja, wo alles steht, dann ging sie hinter den kleinen Kassentisch und verschränkte die Arme. Als sein Blick auf die Nippelklemme fiel, die am Regal herunterbaumelte, sagte sie, denken sie nicht einmal dran, als wüsste sie genau, wie gerne er sich diese Klemme von ihr hätte anlegen lassen. Aber sie sagte nur, denken sie nicht einmal dran, also ließ er sich alles in eine Tüte packen, ging zurück in sein Eckzimmer, setzte sich, sie ging wieder umher. Ich wollte doch nichts kaufen, dachte er, ich wollte doch nur wissen, weshalb sie dort so unruhig umherging. Sie danach fragen und sie dann bitten, ihm die Nippelklemme zu verkaufen. Nachdem sie ihm das Ding ja nicht anlegen wollte. Ob sie gesagt hätte, die ist unverkäuflich? „denken sie nicht einmal dran.“ Zu viele Möglichkeiten, fand er. Er stellte die Tüte in eine Ecke. Was habe ich jetzt davon, fragte er sich. Er entschied sich für Tinto Brass.
f.k.

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